von Susanne Arndt
4 Min.
Frühe Prägungen in der Kindheit beeinflussen die Art und Weise, wie wir Beziehung leben. Die Traumatherapeutin Verena König erklärt im Interview, wie wir ungute Bindungsmuster hinter uns lassen können.
BRIGITTE: Ich hatte mehrere Beziehungen, die alle ähnlich verliefen: Es fing fantastisch an und nach ein paar Jahren war es vorbei. Wird mein Leben von schädlichen Beziehungsmustern beeinflusst?
Verena König: Es kann natürlich verschiedene Gründe haben, weshalb Beziehungen nach ein paar Jahren enden. Aber es ist interessant, dass Sie selbst bemerken: Das scheint ein Muster zu sein. Wenn wir Dinge wiederholt erleben, die wir uns anders wünschen, ist das immer etwas, was uns hellhörig macht, weil es unser Lebensgefühl beeinflusst. Und wenn so etwas auf der Bindungsebene passiert, hat es mit großer Wahrscheinlichkeit damit zu tun, dass ein Bindungsmuster dahintersteckt.
Sie schreiben, Liebe allein sei für eine gelingende Beziehung nicht genug. Was brauchen wir noch?
Die Grundlage für eine funktionierende Partnerschaft ist nicht nur, dass wir uns lieben und anziehend finden, sondern, dass wir miteinander eine Bindung haben, die sich sicher anfühlt – und nicht ambivalent, bedrohlich oder brüchig.
Was genau zeichnet eine sichere Bindung denn aus?
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Dazu gehört vor allem, dass wir das Gefühl haben, dass der andere für uns ist. Wir hegen keine Gefühle wie etwa Neid oder Missgunst und wissen: Der andere steht hinter uns und wir können uns auf ihn verlassen. Umgekehrt bedeutet das natürlich, dass wir selbst auch dieser Mensch für den anderen sind. Wir fassen diese Aspekte häufig mit "Vertrauen" zusammen, und das ist ganz wichtig für eine gelingende Beziehung.
Sie sagen, Prägungen in der frühen Kindheit können sich massiv auf unsere Beziehungsfähigkeit auswirken und uns daran hindern, sichere Bindungen – oder eben Vertrauen – leben zu können.
Prägungen können einerseits günstig sein und uns dabei unterstützen, glückliche und erfüllende Beziehungen zu führen, entsprechende Menschen zu finden und ein entsprechender Mensch zu sein. Aber sie können auch ungünstig sein und uns schwer belasten. Das passiert, wenn unser Bindungssystem – die Instanz in unserem Inneren, die dazu da ist, Bindung zu gestalten, aufrechtzuerhalten und wiederherzustellen – Prägungen erfährt, die sehr mit Stress verbunden sind. Dann sprechen wir von einem Bindungstrauma.
Welche frühkindlichen Erfahrungen können zu einem Bindungstrauma führen?
Das sind häufig Erlebnisse, die in Richtung Vernachlässigung gehen – was übrigens nicht bedeuten muss, dass ein Kind verwahrlost. Vernachlässigung kann auch stattfinden, wenn Eltern emotional nicht verfügbar sind, etwa, wenn sie psychisch krank oder sehr gestresst sind, wenn sie unter einer Suchterkrankung leiden, oder wenn sie insgesamt sehr eingenommen sind von ihren Problemen. Emotionale Vernachlässigung bedeutet, dass Eltern die Bedürfnisse ihrer Kinder nicht wahrnehmen können, weil sie in ihrer emotionalen Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt sind, oder weil sie sich keine Zeit nehmen, die Bedürfnisse und Sorgen ihrer Kinder ernst zu nehmen und sie zu begleiten. Dann sind sie unterm Strich keine sicheren Bindungspersonen und können keine emotionale und körperliche Sicherheit geben. Und das erzeugt großen Stress beim Kind.
Warum sind solche Erfahrungen so mächtig? Wir sprechen hier ja nicht von Missbrauch oder physischer Gewalt.
Auch frühe Prägungen wie emotionale Vernachlässigung sind viel mehr als bloße Lernerfahrungen, denn sie wirken sich auf die Entwicklung unseres Gehirns aus. Wir haben dann organisch gesehen eine andere Stressverarbeitungsfähigkeit. Wenn unser Bindungssystem unter Stress geprägt wurde, sind Überlebensstrategien wie Flucht oder Angriff Teil unserer Persönlichkeit und das beeinflusst unsere Beziehungsfähigkeit – und kann sich etwa in Bindungsvermeidung oder emotionaler Abhängigkeit äußern. Deswegen sind diese Prägungen aber auch nicht allein dadurch veränderbar, dass wir kapieren, dass wir sie haben. Übrigens können natürlich auch Gewalt oder Bindungsabbrüche – auch durch Verluste – zu Bindungstraumen führen.
Dass diese schädlichen Erfahrungen quasi ins Gehirn eingebrannt sind, klingt nicht gerade ermutigend. Haben wir überhaupt eine Chance, uns zu ändern?
Glücklicherweise klingt das viel auswegloser, als es ist. Denn unsere Prägungen sind nicht in Stein gemeißelt, sondern in ein Nervensystem, das formbar ist. Die neueren Erkenntnisse der Neurobiologie besagen, dass wir trotz unserer Prägungen und trotz der Muster, die wir daraus entwickeln, zeitlebens in der Lage sind, diese zu verändern. Das ist zwar Arbeit und braucht Zeit und Bewusstheit, aber es ist möglich.
Und wie schaffen wir es, unsere neurologischen Netzwerke zu modifizieren?
Ein wichtiger erster Schritt ist es, Prägung zu erkennen und uns unserer Muster bewusst zu werden. Dann geht es darum, Dinge zu tun und zu ermöglichen, die uns helfen, neue Erfahrungen zu machen und neue Prägungen zu gestalten. Denn Trauma geschieht in Beziehungen und Trauma heilt in Beziehungen – durch korrigierende Erfahrungen.
Trauma geschieht in Beziehungen und Trauma heilt in Beziehungen – durch korrigierende Erfahrungen.
Kann das auch funktionieren, wenn man nie eine sichere Bindung erlebt hat?
Der Gedanke, dass das Gute, Nährende und Sichere für mich nicht zugänglich ist, weil ich es nicht kennengelernt habe, ist glücklicherweise nicht richtig. Es gehört übrigens zur traumatischen Erfahrung dazu, dass man das Gefühl hat: Ich bin anders, für mich ist das gar nicht möglich. Die gute Nachricht ist aber: Was wir früher nicht lernen konnten, können wir heute nachholen. Solche korrigierenden Erfahrungen müssen wir jedoch aktiv suchen, weil unsere Anpassungsleistungen aus der Kindheit uns positive Erfahrungen häufig verwehren: Wir nehmen Chancen nicht wahr, suchen Kontexte nicht auf, interpretieren Dinge so, wie wir sie gewohnheits- oder prägungsmäßig interpretieren. Um zu lernen, wie sichere Bindung und eine gute Beziehung gelingen kann, brauchen wir daher bewusst gewählte, neue Erfahrungsräume.
Geht das bei der Partnerwahl los?
Das wäre schon der fortgeschrittenere Teil. Gerade in der Partnerschaft greifen unsere alten Muster sehr schnell, weil es sozusagen um die Wurst geht. Es ist daher leichter, diese Lernerfahrung in Kontexten zu machen, die nichts mit dem Beziehungsalltag zu tun haben, etwa mit einer therapeutischen Begleitung. In einem neutralen, sicheren Raum kann man sich gefahrlos zeigen und Dinge reflektieren. Und wenn man das Gefühl hat, dass man in der Kindheit sehr viel Belastendes mitbekommen hat, empfehle ich, sich eine traumatherapeutische oder traumasensible Begleitung an die Seite zu holen.
Und wenn man keine professionelle Begleitung möchte oder finden kann?
Es ist immer gut, sich in Gemeinschaften zu begeben – je nach Neigung etwa in eine Laufgruppe oder einen Literaturclub –, und dort Kontakte zu knüpfen, in denen man sich neu erlebt, jenseits von Menschen, die schon ein Bild von uns haben und wissen, wie man reagiert. In neuen Kontexten kann man nochmal neu erfahren: Was passiert, wenn ich mich bewusst und reflektiert auf freundschaftliche Beziehungen einlasse? Natürlich ist es auch super, wenn man in der Partnerschaft und in seinen Freundschaften beginnt, zu erkunden: Wo sind meine Muster aktiv? Wo trage ich dazu bei, dass sich Erfahrungen wiederholen?
Sollte man die Partner:innen und Freund:innen dabei einbeziehen?
Auf jeden Fall. Das aktive Einbeziehen und die offene Kommunikation über das, was man in sich wahrnimmt und über sich herausfindet, ist ein wichtiger Schlüssel für die Veränderung von Mustern. Wir alle haben Bilder voneinander und glauben, einander zu kennen, aber häufig kennen wir vor allem Muster oder innere Anteile, die in gewissen Situationen entsprechend reagieren. Sich darüber bewusst auszutauschen, ist total wichtig und heilsam.
Brigitte
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